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Zettenkaiser: Felstour mit Denkzettel

Heute haben wir uns den Zettenkaiser (1.968m) im Wilden Kaiser vorgenommen. Mit 1.968m nicht sehr hoch, dafür aber anspruchsvoll mit T5+ und im 2. Grad. Wir wollen ihn über den Nordwansteig besteigen.
Über Wiesen und Wälder geht es zuerst zur Kaindlalm um dann über Latschen und Wald weiter steil aufzusteigen. Wir erreichen einen ersten Zwischengipfel und gelangen dann in ein schönes Kar, das Großer Friedhof genannt wird. Steil geht es über Schotter zu einer Felswand weiter, vom Sattel geht es in ein weiteres Kar.

Der Nordwandsteig

Ein roter Pfeil weist auf den Einstieg in die Nordwand hin und durch einen Riss geht es kraxelnd hinauf. Die erste II-er Stelle kommt und wir meistern sie einfach. Wir verlieren ein Stück weiter oben etwas den Weg, denn statt zur Latschengasse links hinauf zu steigen, versuchen wir es erst rechts. Wir steigen mühsam und vorsichtig wieder nach unten, was hier nicht ganz Ohne ist, im steilen Felsgelände.
Alle kommen heil runter, nur zwei gehen rechts weiter über eine ausgesetzte III-Stelle. Nicht unbedingt die schlauste Aktion. Alle kommen wohlbehalten in den Latschen an, auch wenn das letzte Stück recht wenig Griffe bietet und ausgesetzt ist. Für mich das schwierigste Stück, weil mental belastend aufgrund der Ausgesetztheit. Ein Pfad führt oben durch Latschen bis ins Schrofengelände. Über I-er Stellen geht es nun über die Felsen weiter.

Der Unfall

Hier passiert es. Ein Freund und ich stehen weiter oben, wir hören es nur laut rumpeln, um gleich darauf zu erfahren, dass einer unserer Freunde soeben abgestürzt ist. Wir sehen ihn noch durch die Latschen und Geröll rauschen, dann ist er weg. Fassungslosigkeit macht sich breit, Schock. Wir haben große Angst um unseren Freund, da dieser sehr weit hinab gestürzt ist, wir wissen nicht wo und er gibt keine Antwort. Ein Stück unter Latschengelände geht ein 300m tiefer senkrechter Abhang hinunter. Wir befürchten das Schlimmste, mir wird schlecht.
Wir zwei oben rufen sofort den Notruf an und schildern das Geschehene. Bald darauf finden aber drei unserer tiefer stehenden Freunde den Abgestürzten, der auch bei Bewusstsein ist.
Er hatte ein Riesenglück und hat sich einen halben Meter vor dem Abgrund in Latschen verheddert. Wir sind so erleichtert und spätestens heute muss ich sagen: Liebe Latschen, danke, dass es auch gibt! Unsere Freunde sichern den Abgestürzten erst einmal. Der Verletzte blutet stark, hat mehere Platzwunden am Kopf, ist aber ansprechbar. Erleichterung.
Der Rettungshubschrauber ist schon bald in der Ferne zu hören, braucht dann aber noch eine Weile bis er, nachdem er uns gefunden hat, bei uns ist, da dieser erstmal nach unten fliegt um dort die Seilwinde aufzubauen um die Notärzte an einem Seil zu uns zu fliegen. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis endlich die Notärzte abgesetzt werden. Auch hier dauert es eine schiere Ewigkeit, bis sie ihn endlich, ordentlich verpackt, ausfliegen.
Uns allen schlottern die Knie von dem Schock. Wir machen uns noch immer große Sorgen um unseren Freund. Wir zwei, die die ganze Zeit oben standen, begegnen nun zwei zufällig uns begegnenden Bergrettern, die uns mit einem Seil beim schwierigen Abstieg (auf jeden Fall mit zittrigen Beinen) helfen. Was auch sinnvoll ist, denn mir bricht tatsächlich ein Tritt aus, unter Umständen wäre ich ungesichert auch ein Stück nach unten gefallen, ich mag es mir gar nicht ausmalen. Wir sind sehr froh, dass die Männer im rechten Moment gekommen sind und geholfen haben. Als wir unten bei unseren Freunden sind, erfahren wir von den anderen genaueres. Aus irgendeinem Grund ist er auf seiner Route abgerutscht oder etwas ist ausgebrochen, und er ist in mehreren Überschlägen und Kopfschlägen nach unten gerollt. Überall ist Blut zu sehen.

Ein unfreiwilliger Flug

Dann werden wir, jeweils zu zweit, von einem Polizeihubschrauber runter zur Alm geflogen. Immerhin der Flug ist ein Highlight, die Aussicht ist Ich hätte gedacht, viel mehr Angst zu haben, meine Füße 400m über dem Boden hängend. Mag auch sein, dass auch der noch vorherrschende Schock, alle Angstgefühle auslöscht, ich weiß es nicht. Die Zeit seit dem Absturz verging wie in Trance. Ich weiß nicht wie lange wir da oben hingen, gefühlt mindestens eine Stunde. Wir sind froh ausgeflogen zu werden, da dass Gelände im Abstieg deutlich schwieriger ist und es mit zittrigen Knien noch gefährlicher scheint.
Unten auf der Alm trinken wir erstmal was auf den Schock und die Erleichterung, dass unser Freund noch am Leben ist. Wir unterhalten uns viel über das Geschehene, jeder erzählt es aus seiner Perspektive. Wir geben den zwei Bergrettern, die uns beim Abstieg geholfen haben, ein Bier aus, ein Polizist kommt und nimmt das Geschehene auf.

Abstieg von der Kaindlhütte

Den Abstieg mache ich wie im Traum. Ich nehme nicht viel wahr, Schweigen breitet sich unter uns, jeder hängt seinen Gedanken nach, rekapituliert die Ereignisse, sorgt sich. Ich laufe sehr schnell, ich möchte mir keine Gedanken erlauben. Nicht nachdenken, laufen, laufen, nicht stoppen, schnell, schnell. Zum Auto und dann ins Krankenhaus in Kufstein. Wir sind in Windeseile unten und machen uns auf den direkten Weg ins Krankenhaus, immer noch von Sorgen erfüllt.

Krankenhausbesuch

Ich erlaube mir immernoch nicht darüber nachzudenken, bis wir im Krankenhaus anlangen und wir erfahren, dass unser Freund auf der Intensivstation liegt und bei Bewusstsein ist. Zwei von uns gehen nach oben um den Verletzten zu besuchen. Währenddessen bangt und hofft der Rest von uns unten. Die beiden kehren zurück und endlich macht sich finale Erleichterung breit: Ihm geht es den Umständen entsprechend gut, Platzwunden am Kopf, Schädelfraktur, Rippen und Schlüsselbein gebrochen. Er kann aber wohl lachen. Wir liegen uns in den Armen und freuen uns unsagbar, dass alles gut ist. Ich gehe nun mit einem weiteren nach oben um ebenfalls nach ihm zu sehen.
Wir fahren dann zurück nach München, ich kann das alles immer noch gar nicht richtig glauben, alles kommt einem sehr surreal vor, wie im Traum. Das lehrt einen wieder große Demut. Egal, wie erfahren man ist, oder wie einfach eine Stelle auch scheinen mag, es besteht IMMER Gefahr. Man muss immer Acht geben, immer vorsichtig laufen, und am besten auch immer ein Seil für schwierige Stellen dabei haben, vor allem bei einem notwendigen Abstieg. Der Abgestürzte ist einer der erfahrensten und sichersten unter uns, aber es kann immer etwas Unvorhergesehenes passieren. Ein Griff bricht aus, irgendwo ist eine rutschige Stelle. Alles kann jederzeit passieren. Es hätte jedem von uns passieren können.
Wir können uns für die nächste Zeit erstmal keine Touren auf dem Niveau vorstellen, nachdem was wir mitangesehen haben. Es hätte sehr übel ausgehen können. Der Wilde Kaiser heißt nicht umsonst so, und die Berge sind immer unberechenbar, fordern ihren Tribut. Hiermit eine ausdrückliche Warnung an alle Bergsteiger: Geht niemals alleine, am besten auch nicht zu zweit, in solches Gelände! Rechnet mit allem! Kennt eure Grenzen und das Risiko, das ihr mit jeder Tour eingeht! Uns war das eine große Lektion. Wir werden zukünftig vorsichtiger sein.

FAKTEN ZUR TOUR
Bergtour Zettenkaiser (1.968m)
Gehzeit: 8h
Höhenmeter: 1.700hm
Ausgangspunkt: Hintersteiner See bei Kufstein (883m)
Schwierigkeit: T5+ I./II. Grad

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    Annika
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    Ich bin verliebt in die Welt, ihre Berge und das Abenteuer. Seit jeher beschäftigt mich eine starke Sehnsucht nach einem intensiven Leben. Dabei bedeuten Wandern und Reisen für mich pure Freiheit und Glück. Auf diesem Blog lest ihr alles über meine Abenteuer auf der ganzen Welt

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