Letzte Momente auf dem Trail

PCT Woche 23: Eine wunderschöne aber leichtsinnige Unternehmung

Posted: 16. Mai 2023 by Annika

Nach­dem wir uns entsch­ieden hat­ten, nach Ore­gon zurück­zukehren und süd­wärts zu wan­dern, um wieder an der Stelle anzuknüpfen, an der wir in Kali­fornien aufge­hört hat­ten, reis­ten wir zurück nach Seat­tle, um die let­zten 180 Meilen des PCT zu bewälti­gen. Wir sind voller Hoff­nung und Vor­freude, es bis nach Kana­da zu schaf­fen. Die let­zten Meilen des PCT sind immer noch geschlossen, aber wir hof­fen, dass der erwartete Schnee die Brände löschen und den Trail wieder öff­nen wird. Es stellte sich jedoch her­aus, dass dies in der The­o­rie gut klang, uns jedoch die Wahrheit bere­its am ersten Tag auf dem Trail hart ins Gesicht traf.

Nach­dem wir Ore­gon und Kali­fornien been­det haben, kehren wir nach Seat­tle zurück. Wir organ­isieren unsere Verpfle­gung und unsere Win­ter­aus­rüs­tung. Ich kaufe einen wärmeren Schlaf­sack. Es ist eine wahre Odyssee neue Schuhe zu bekom­men. Wir mussten einen zusät­zlichen Tag in Seat­tle ver­brin­gen, da das Post­amt in der Innen­stadt die Abhol­ung von Gen­er­al Deliv­ery nur zwis­chen 10 und 12 Uhr zulässt und wir das nicht wussten.

Dann stellte sich her­aus, dass ich verse­hentlich das falsche Paar Schuhe bestellt hat­te. Das Mod­ell passt mir nicht sehr gut und nach einem Tag Herum­laufen mit ihnen ist klar, dass ich damit nicht wan­dern kann. Also entschei­de ich mich am Abend, zu REI zu gehen und mir anzuse­hen, welche Schuhe sie haben. Ich finde Schuhe, die mir passen. Aber dann kaufe ich sie in ein­er anderen Farbe als die, die ich anpro­biert habe. Ich gehe fröh­lich zurück ins Hotel und dachte, dass alles am Ende geklappt hat. Das hat es aber nicht.

Zurück im Hotel stelle ich fest, dass sie mir die falsche Größe gegeben haben und ich es nicht noch ein­mal nachgeprüft habe. Sie sind viel zu klein. Ver­dammt. Jet­zt haben sie geschlossen und der einzige Bus zurück nach Stevens Pass fährt am Mor­gen ab, bevor REI öffnet. Jet­zt habe ich die Wahl, entwed­er mit den schlecht sitzen­den Schuhen zu gehen, mit den alten löchri­gen Schuhen mit 600 Meilen darauf oder einen weit­eren Tag zu bleiben, um das zu klären. Da wir Schnee erwarten, entschei­de ich mich dafür, das zu klären. Ich tausche die Schuhe aus und dann gelan­gen wir endlich am näch­sten Tag zum Trail. Es reg­net, als wir Seat­tle ver­lassen, nicht sehr angenehm.

PCT Tag 137: Angriff auf die letzten 180 Meilen

Stevens Pass (Meile 2465,2) bis Meile 2477,9
21,6km / 5h / 904hm

Der Bus bringt uns nach Stevens Pass, wo wir den Schnee bere­its etwas über uns sehen kön­nen. Aber es schneit nicht und es gibt sog­ar etwas blauen Him­mel. Wir fan­gen an zu laufen, zuerst bergab und dann steigen wir hin­auf in den Schnee. Der Wald sieht magisch aus mit der frischen Schneedecke. Der Kon­trast zwis­chen den far­ben­fro­hen Blät­tern und dem Weiß des Schnees ist so hüb­sch. Es ist eigentlich angenehm mit eini­gen schö­nen Aus­sicht­en. Wir passieren einen wun­der­schö­nen See und einige Tageswanderer.

Aber dann begin­nen wir den näch­sten Auf­stieg und es fängt an zu schneien. Bald gibt es keine Fußspuren mehr und ich bin die Erste, die welche hin­ter­lässt, der Schnee knirscht unter meinen Schuhen. Der Schnee wird mehr und ist jet­zt über­all um uns herum. Schnee fällt auf mich von Ästen und Büschen herunter, er ist unter mir und kommt vom Him­mel. Aber auch jet­zt füh­le ich mich noch gut.

Als wir am geplanten Camp­ing­platz ankom­men, wird es kalt, sobald wir uns nicht mehr bewe­gen. Meine Hand­schuhe sind irgend­wo unten in meinem Ruck­sack und meine Hände wer­den schnell taub, während ich das Zelt auf­baue. Plöt­zlich gefällt es mir nicht mehr. Wir wussten, worauf wir uns ein­lassen. Es wird Schnee geben, es wird kalt sein und es wird elendig sein. Aber es ist etwas anderes, darüber in der The­o­rie nachzu­denken. Es ist anders, wenn man tat­säch­lich in der Sit­u­a­tion ist. Tageswan­derun­gen sind jet­zt immer noch schön, aber ich denke, man will am Ende des Tages nach Hause und ins Warme. Es dauert eine Weile, bis ich wieder warm werde. Heißer Tee und warmes Aben­dessen helfen.

Es ist das erste Mal, dass ich auf Schnee zelte. Es knirscht unter unseren Iso­mat­ten, wenn wir uns bewe­gen. Die let­zte richtige Möglichkeit hier rauszukom­men liegt hin­ter uns. Wenn wir weit­er­ma­chen, kön­nten wir bei mehr Schnee und Wind fest­steck­en. Wir wer­den mor­gen eine Entschei­dung darüber treffen.

PCT Tag 138: Rückzug

Am näch­sten Mor­gen tre­f­fen wir die Entschei­dung, den Trail zu ver­lassen. Wir wis­sen nicht, was uns erwartet, und es gibt für die näch­sten 100 Meilen keine Ausstiegsmöglichkeit. Außer­dem ist der näch­ste Abschnitt ein­er der anspruchsvoll­sten des PCT, da der Trail nicht sehr gut instand gehal­ten wird. Es gibt viele umgestürzte Bäume, aus­ge­wasch­ene Pfade und min­destens eine riskante Flussüber­querung. Es ist keine leichte Entschei­dung. Aber ich war schon ein­mal in einem Schneesturm gefan­gen und das war der schlimm­ste Moment in meinem Leben. Ich möchte nicht die Per­son sein, die nicht aus ihren Erfahrun­gen lernt. Ich weiß, dass es in nur weni­gen Minuten extrem schlimm wer­den kann und ich möchte nicht hier draußen sein, wenn das passiert.

Natür­lich kreist das alles noch weit­er in unseren Köpfen, während wir die fünf Meilen zum let­zten Ausstiegspunkt am Smith Brook Trail zurück­ge­hen. Es ist eine emo­tionale Achter­bah­n­fahrt. Vor allem, da es heute ein schön­er Tag ist. Es gibt ein paar blaue Fet­zen am Him­mel und der Schnee glitzert in der Sonne wie tausend Dia­man­ten. Es ist schw­er zu akzep­tieren, dass es jet­zt schön sein mag, aber sich schnell ändern kann.Sicher ist sicher.

Trotz­dem bin ich mir ziem­lich sich­er, dass wir die richtige Entschei­dung getrof­fen haben. Ich ver­suche, diese let­zten kost­baren Momente auf dem PCT zu genießen und all die Schön­heit in mich aufzunehmen. Es ist ein großar­tiger let­zter Tag.

Wir erre­ichen die Abzwei­gung zur Ausstiegsroute und von hier sind nur noch 2 Meilen bis zum Trail­head. Da heute Son­ntag ist, gibt es viele Tageswan­der­er und es dauert nicht lange, bis wir per Anhal­ter zurück zum High­way kom­men. Es dauert dann eine Weile, bis wir per Anhal­ter nach Leav­en­worth kom­men, wo wir die Sit­u­a­tion mit einem genaueren Blick auf die Wet­ter­vorher­sage neu bew­erten wollen. Aber ich kann ziem­lich schnell sehen, dass wir die richtige Entschei­dung getrof­fen haben. Dieser Ort wird in den näch­sten Tagen mit Schnee bedeckt und es wird auch Wind geben. Es sieht aus wie ein ver­dammter Schneesturm kommt auf uns zu. Und wir wären mit­ten drin steck­en geblieben, wenn wir weit­ergemacht hätten.

Also war es am Ende vielle­icht gut, dass wir in Seat­tle fest­ge­hal­ten wur­den, um nicht zu tief in diese Sit­u­a­tion zu ger­at­en. Wir feiern das Ende unser­er Wan­derung mit Schnitzel und Bier. Pop­eye hat auf dem Trail auch noch Löwen­mäh­nen­pilze gefun­den, die nun unser Aben­dessen und Bier im Restau­rant bezahlen. Es ist ein gutes Ende ein­er aufre­gen­den Reise, auch wenn wir es nicht bis zum Ende geschafft haben. Wir haben unser Bestes gegeben und sind 175 Meilen vor Kana­da und 2.310 Meilen auf dem Trail angekom­men. Ich bin unglaublich dankbar für meine Zeit hier draußen, all die Men­schen, die ich ken­nen­gel­ernt habe, und die wun­der­schöne Land­schaft, die ich gese­hen habe. Es war eine wilde Fahrt. Meine Reise auf dem PCT war nicht so, wie ich es erwartet hat­te, aber es sind viele großar­tige Dinge passiert.

Ich habe wieder ein­mal her­aus­ge­fun­den, wie stark ich bin und wie sich Fre­und­schaft und echte Fre­undlichkeit von Frem­den anfühlen kön­nen. Eine Fer­n­wan­derung kann einem den Glauben an die Men­schheit zurück­geben und ist das Beste für meine geistige Gesundheit.

Rück­blick­end haben wir mehr Meilen auf dem PCT zurück­gelegt als viele Leute in diesem Jahr, die auf­grund der Brände viele Abschnitte über­sprun­gen haben. Es fühlt sich immer noch wie ein Ver­sagen an, nur weil dieser let­zte Abschnitt fehlt. Es ist ein ikonis­ch­er Moment, das Ziel des Trails das man monate­lang beim Wan­dern denkt während man sich seinen Weg nach Kana­da bah­nt. Man denkt an die Pose, die man auf dem let­zten Foto machen wird, und wie man sich fühlen wird, wenn man das Ende eines epis­chen Aben­teuers erreicht.

Wir haben ein klares Bild von uns an diesem Mon­u­ment an der kanadis­chen Gren­ze vor Augen gehabt. Es fühlt sich unvoll­ständig und sinn­los an, nicht dor­thin zu gelan­gen. Es fühlt sich nicht richtig an. Ich glaube, wir wer­den nicht als wahre Thru-Hik­er betra­chtet. Fak­tisch sind wir jet­zt nur noch LASH­ers (Los Ass Sec­tion Hik­ers). Wir haben noch nicht ein­mal ein let­ztes Foto gemacht, um das Ende unser­er Wan­derung zu markieren. Ich glaube, wir waren immer noch in der Verleugnung.

Und nun?

Am Ende machen wir einen Road­trip von Seat­tle zurück nach Süd­kali­fornien, um das Unver­mei­dliche hin­auszuzögern. Wir fahren die gesamte Küste ent­lang und besuchen dann den Red­wood Nation­al­park, den Lassen Nation­al­park, Yosemite Nation­al­park, den Kings Canyon und den Sequoia Nation­al­park, wo uns der Win­ter erneut ein­holt und die beängsti­gend­ste Fahrt meines Lebens verur­sacht. Zurück in Süd­kali­fornien ver­suchen wir, den Mount Baldy zu besteigen, aber auch hier holt uns der Win­ter ein, als wir auf dem Weg zum Gipfel sind. Wir erken­nen, dass wir nicht mehr weglaufen kön­nen, wir müssen der Real­ität ins Auge sehen.

Aber was ist jet­zt unsere Real­ität? Wie wird unser neues Nor­mal ausse­hen? Das müssen wir jet­zt her­aus­find­en. Nach mein­er let­zten Fer­n­wan­derung wollte ich mich zusam­men­rollen und ver­steck­en. Die Post-Trail-Depres­sion ist wirk­lich ein Ding unter Thru-Hik­ern und ich weiß, dass sie mich wieder tre­f­fen wird. Wir hat­ten diesen Leben­szweck, 2.560 Meilen zu wan­dern und dabei einige wun­der­schöne Dinge zu sehen. Es beschränk­te sich auf das Nötig­ste: gehen, essen, schlafen, wiederholen.

Wir lebten ganz im Moment, im Hier und Jet­zt. Keine Sor­gen, die einem im All­t­ag so begleit­en. Min­destens zehn Stun­den am Tag waren wir auf den Beinen und der Natur. Wir waren Teil dieser Welt, ganz bewusst und wahrhaftig. Ich frage mich wie viel bewusste Momente im Hier und Jet­zt man im All­t­ag so erlebt. Ich bin mir sich­er, dass es deut­lich weniger als 10 Stun­den sind. Und genau deshalb fühlt sich die Zeit auf einem Thru-Hike viel länger an als die “All­t­agszeit”, sechs Monate erscheinen wie ein halbes Leben. Weil wir jeden Moment auskosten. Und darin fan­den wir Erfül­lung. Es ist schw­er, eine solche Erfül­lung im nor­malen Leben zu finden.

Jed­er will wis­sen, was meine näch­sten Pläne sind. Und ich habe immer noch keine Ahnung. Es ist ein­fach über­wälti­gend. Aber ich weiß, dass wir es schaf­fen wer­den. Wir müssen einen Weg find­en, Aben­teuer in unser täglich­es Leben einzubeziehen. Wir wer­den weit­er­hin wan­dern und dies wird nicht das Ende sein. Hof­fentlich war der PCT nur ein weit­er­er Schritt auf den Weg zu all den Aben­teuern, die noch vor mir liegen.

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