Aussicht ins Tal

Wie ich zum Thru-Hiking kam

Posted: 25. Oktober 2023 by Annika

Thru-Hik­ing klingt erst­mal ganz schön ver­rückt — Tausende von Kilo­me­tern zu Fuß laufen? Aus dem Ruck­sack leben, in der Wild­nis zel­ten, jeden Tag Instant­nahrung essen, auf die Annehm­lichkeit­en der Zivil­i­sa­tion verzicht­en — wozu über­haupt? Macht das wirk­lich Spaß? Hier erzäh­le ich von mein­er per­sön­lichen Moti­va­tion weite Streck­en zu wandern.

Thru-Hik­ing (Durch­wan­dern auf deutsch) bedeutet einen kom­plet­ten Fer­n­wan­der­weg an einem Stück zu bewan­dern. Ursprünglich bezog sich der Begriff vor allem auf die großen amerikanis­chen Trails: Appalachi­an Trail (AT), Pacif­ic Crest Trail (PCT) und Con­ti­nen­tal Divide Trail (CDT). Alle drei über 3.500km lang. Mit­tler­weile kann man den Begriff für jegliche Fer­n­wan­der­wege ver­wen­den, wobei es zumin­d­est für mich schon min­destens mehrere hun­dert Kilo­me­ter sein soll­ten um wirk­lich Thru-Hik­ing zu sein. Gewis­ser­maßen ist Thru-Hik­ing die Königs­diszi­plin des Wan­derns, denn hier geht es nicht nur um ein paar Tage Spaß, son­dern auch um kör­per­liche und psy­chis­che Schwierigkeit­en, die es zu über­winden gilt. Wan­dern, Essen, Schlafen — das ist der All­t­ag auf einem Thru-Hike. Man geht also völ­lig im Wan­dern auf. Es zählt nur noch der Trail und die Erleb­nisse, die man auf ihm hat.

Ich hat­te immer eine lange Liste von Din­gen, die ich in meinem Leben tun möchte, und auf irgen­deine Weise schaffe ich es, meine Träume nacheinan­der zu erfüllen und neue zu schaf­fen. Ich denke, darum geht es im Leben. Seinen Träu­men nach­ja­gen, das Leben leben, das man leben möchte, Erin­nerun­gen zu sam­meln und nicht Dinge.

Thru-Hiking — einfach nur total verrückt?

Es muss etwa 2010 gewe­sen sein als ich das erste Mal über­haupt vom Thru-Hik­ing hörte. Ich las das Buch “Früh­stück mit Bären” von Bill Bryson, das sich mit dem 3.500km lan­gen Appalachi­an Trail beschäftigt. Ich weiß noch wie total ver­rückt mir das damals vorkam. Klar, ich wan­derte sehr gern und ich hat­te auch schon den ein oder anderen Fer­n­wan­der­weg hin­ter mir. Der läng­ste bis dahin war aber ger­ade mal 154km lang, der schot­tis­che West High­land Way. Für die 154km habe ich damals noch ganze neun Tage gebraucht. Es war gän­zlich unvorstell­bar für mich 22 Mal so viel an einem Stück zu gehen. Und 3.500km an einem Stück in fünf Monat­en? Fasziniert hat es mich trotz­dem und es war her­rlich über die Lernkurve und die Erleb­nisse von Bill Bryson auf dem AT zu lesen.

Mein Start ins Wanderleben

Ins Wan­dern ver­liebt habe ich mich erst in Neusee­land in 2007/2008. Damals machte ich ein Aus­landsse­mes­ter und begann die Natur dieses wun­der­schö­nen Lan­des zu erkun­den. Ob Wasser­fälle, Berggipfel oder Seen: Es gab viele Ziele für unter­schiedlich lange Wan­derun­gen. Anfangs hat­te ich nicht die ger­ing­ste Ahnung und auch keine passende Aus­rüs­tung. Ich ging ein­fach los. In Chucks, Baum­wol­lk­lei­dung, All­t­ag­tagsruck­sack und ohne jegliche Schlechtwetterplanung.

Ich fing auch an im Zelt zu schlafen, erst auf Camp­ing­plätzen und dann immer wilder. Vorher habe ich lediglich aus Spaß im eige­nen Garten gezel­tet. Zel­ten war anfangs irgend­wie gar nichts für mich, ich hab mich ganz schön beschw­ert. Und dann lernte ich immer mehr diese Nähe zur Natur zu schätzen und hat­te nicht nur keine Prob­leme mehr mit dem Zel­ten, son­dern begann es sog­ar zu lieben!

2011 eröffnete dann der Te Araroa Trail, der 3.000km durch die ganze Länge Neusee­lands führt. Die erste Schnap­sidee kam in mir auf: Eines Tages werde ich diesen Trail vielle­icht wan­dern. Es würde meine erste richtig lange Fer­n­wan­derung wer­den und das in dem Land in dem alles begann. Ein Kreis würde sich schließen. Ein schön­er Gedanke, aber noch in weit­er Ferne. Noch kon­nte ich mir das nicht so recht vorstellen und es schien echt ein­fach nur eine Schnap­sidee zu sein. Als würde ich sowas kön­nen, das wird wahrschein­lich nie was

Schließlich fol­gte meine erste Wan­derung mit Über­nach­tun­gen, mein erster “Thruhike” wenn man so will. Es war der 32km lange Route­burn Track durch die Berge der Südin­sel Neusee­lands. Mit­tler­weile hat­te ich mir Wan­der­schuhe, Wan­der­hose, Fleece- und Regen­jacke besorgt. Einen Ruck­sack habe ich mir ganz ein­fach aus­geliehen. Diese Erfahrung war hart, aber gle­ichzeit­ig wun­der­schön. Eine neue Lei­den­schaft war geboren, die Lei­den­schaft fürs Wan­dern. Eine völ­lig neue Welt eröffnete sich mir.

Auf meiner ersten Mehrtageswanderung auf dem Routebourn Track in Neuseeland 
Auf mein­er ersten Mehrtageswan­derung auf dem Route­bourn Track in Neuseeland 

Die verrückte Idee vom Te Araroa wird wahr — mein erster Thru-Hike

Im Jahr 2011 wurde der Te Araroa eröffnet, der die gesamte Länge Neusee­lands in 3.000 km abdeckt. Mir kam damals die ver­rück­te Idee, dass ich ihn eines Tages durch­wan­dern kön­nte. Es wäre meine erste richtige Langstreck­en­wan­derung, und das in einem Land, in dem alles begann. Ein Kreis würde sich schließen. Es war eine große Idee, aber sie schien noch weit ent­fer­nt. Ich kon­nte mir das zu der Zeit kaum vorstellen, es war eher eine lockere Idee, die mir in den Sinn kam. Ich dachte nicht daran, dass ich es eines Tages wirk­lich tun würde.

Mit der Zeit absolvierte ich viele Langstreck­en­wan­derun­gen. Ich wan­derte den West High­land Way in Schot­t­land, den Lau­gave­g­ur in Island, den Kungsle­den in Schwe­den, die Jotun­heimen-Runde in Nor­we­gen, den Fro­l­ikha Adven­ture Coast­line Track in Rus­s­land, den Ever­est Base Camp Trek und den Anna­pur­na Base­camp Trek, den Abel Tas­man Coastal Track in Neusee­land, den W‑Circuit in Chile und den Ausan­gate Trek in Peru.

Dann begann mein bish­er größtes Aben­teuer. Im Jahr 2018 machte ich mich endlich auf den Te Araroa, von dem ich bere­its 2011 geträumt hat­te. Ich war so aufgeregt und las alles, was ich über den Trail find­en kon­nte. Ich ver­brachte Monate mit der Pla­nung und der Zusam­men­stel­lung der richti­gen Ausrüstung.

Ich war so aufgeregt und las alles über den Trail was ich in die Fin­ger bekom­men kon­nte. Ich beschäftigte mich Monate mit der Pla­nung und dem Zusam­men­su­chen der richti­gen Aus­rüs­tung. Und dann war ich tat­säch­lich auf dem Trail. Ich stand in Bluff am Start mein­er 3.000 km lan­gen Wan­derung und begann mein großes Aben­teuer. 36km bin ich am ersten Tag gelaufen, soviel wie noch nie zuvor an einem Tag. Das war der Auf­takt zu ein­er großen Reise. Tat­säch­lich schaffte ich nicht die ganze Strecke, son­dern “nur” 1.400km. Die kom­plette Südin­sel lag hin­ter mir und ein klein­er Teil der Nordinsel. Lei­der funk­te mir dann der Win­tere­in­bruch dazwis­chen und ich beschloss schw­eren Herzens ein anderes Mal wiederzukom­men um den Trail zu beenden.

Und das tat ich. Ich been­dete den Trail im Jahr 2020. Ich bin seit meinem Start in der Wan­der­szene wirk­lich weit gekom­men. Danach bestieg ich den Kil­i­man­jaro in Tansa­nia, wan­derte zwei Jakob­swege in Spanien, den GR 20 in Kor­si­ka, eine Transalp in Deutsch­land und unter­nahm viele Tageswan­derun­gen in den Alpen.

Mehr zu meinem Aben­teuer auf dem Te Araroa»

Auf meinem ersten Thru-Hike, dem Te Araroa in Neuseeland

Das nächste große Ding: Der PCT

Ich begann darüber nachzu­denken, was das näch­ste große Ding sein kön­nte. Ich war anges­tachelt und wollte wieder eine wirk­lich lange Wan­derung machen. Da ich zuvor noch nie in Nor­dameri­ka war, dem let­zten Kon­ti­nent, den ich noch nicht besucht hat­te, entsch­ied ich mich für den Pacif­ic Crest Trail (PCT) – eine großar­tige Wahl. Er vere­int alles, was ich am Wan­dern liebe: Wild­nis, atem­ber­aubende Natur und eine großar­tige Wan­der-Com­mu­ni­ty. Die Vorstel­lung, ein Land durch das Wan­dern zu erkun­den, begeis­terte mich. Ich traf die Entschei­dung im Novem­ber 2021 und besorgte mir umge­hend mein Thru-Hik­ing Per­mit. Wieder ein­mal saugte ich alle ver­füg­baren Infor­ma­tio­nen über den Trail auf (und es gibt eine Menge) und wog jedes Gramm mein­er Aus­rüs­tung, um das Gewicht meines Ruck­sacks auf ein Min­i­mum zu reduzieren.

Ich war so nervös, dass vor dem Start dieses neuen Aben­teuers etwas schiefge­hen kön­nte. Aber schließlich pack­te ich meine gesamte Woh­nung in 20 Kar­tons und einige Müll­säcke und machte mich mit einem Ruck­sack auf den Weg, der alles enthielt, was ich für die näch­sten fünf Monate brauchen würde. Es erstaunt mich immer wieder, wie viel Zeug wir besitzen (oder besitzt es uns?) und wie viel weniger wir tat­säch­lich brauchen.

Die näch­sten sechs Monate ver­brachte ich damit etwa 3.800 km auf dem PCT zu wan­dern. Eine Ver­let­zung, Wild­feuer und let­ztlich der Win­ter erforderten einiges an Flex­i­bil­ität und Resilienz, aber let­ztlich hat­te ich das meiste des PCTs geschafft. Am Ende fehlten mir 430 km, die ich vorhabe irgend­wann nachzu­holen. Es war ein bit­ter­süßer Abschied — ein­er­seits trage ich all diese Erin­nerun­gen, Erfahrun­gen und Begeg­nun­gen in meinem Herzen und auf der anderen Seite ging es viel zu schnell vor­bei und das Gefühl es nicht ganz zu Ende brin­gen kön­nen, gab dem Ganzen einen bit­teren Beigeschmack.

Mehr zu meinem Aben­teuer auf dem PCT»

Auf dem PCT in Washington
Auf dem PCT in Washington

Warum eigentlich das ganze Wandern?

Das Wan­dern wurde ein großer Teil meines Lebens, beson­ders seit ich in der Nähe der Alpen wohne, wo ich so oft wie möglich wan­dern, klet­tern und Ski­touren unternehmen kann. Alles dreht sich nur ums Wan­dern. Ich liebe es, draußen zu sein und in der Natur aufzuge­hen. Ich mag es, wenn es auf die ein­fachen Dinge im Leben ankommt: wan­dern, essen, schlafen. Es gibt nicht viel anderes worüber man sich Sor­gen machen müsste. Es geht um den Weg, die Erleb­nisse und die Erin­nerun­gen, die man sam­melt. Auf einem Wan­der­weg habe ich immer ein Gefühl von Frei­heit. Ein­fach das tun, was ich am meis­ten liebe, in meinem eige­nen Tempo.

Für mich ist Thru-Hik­ing die höch­ste Diszi­plin des Wan­derns, denn es geht nicht nur darum, Spaß zu haben, son­dern auch darum, kör­per­liche und psy­chis­che Schwierigkeit­en zu über­winden, was einen als Per­son stärk­er macht.

In den let­zten Jahren hat­te ich viel mit mein­er psy­chis­chen Gesund­heit zu kämpfen. Neben Ther­a­pie und der richti­gen Medika­tion gibt es etwas, das mir sehr hil­ft, diese Her­aus­forderun­gen zu bewälti­gen. Es ist das Wan­dern und die Freude am Draußen­sein. Es gibt mir eine Pause von unser­er hek­tis­chen Welt mit ihren alltäglichen Herausforderungen.

Gipfel des Rauhkopfs
Wan­dern in den Bayrischen Voralpen

Was steht als nächstes an?

Mein grober Plan für die Zukun­ft ist jew­eils ein Jahr an meinem Wohn­sitz zu ver­weilen und zu arbeit­en um dann wieder ein Jahr unter­wegs sein zu kön­nen. Da ich 2022 den PCT gewan­dert bin habe ich mich 2023 wieder  dem Arbeit­en sowie mein­er psy­chis­chen und kör­per­lichen Gesund­heit gewid­met. Aber ich ver­spüre eine starke Sehn­sucht nach dem Trail und der Natur. Ich habe nicht das Gefühl in diese Welt zu gehören, ich füh­le mich wie ein Alien auf einem frem­den Plan­eten in der Zivil­i­sa­tion. Nur da draußen füh­le ich mich wirk­lich voll­ständig und in meinem Element.

Auf­grund ein­er lang­wieri­gen Ver­let­zung in 2022 kon­nte ich nicht soviel machen wie ich wollte und es gab keine Langstreck­en­wan­derun­gen. Lediglich 733 km habe ich 2023 zurück gelegt. Was wahrschein­lich gar nicht so schlecht ist ohne Langstreck­en­wan­derung. Alles eine Frage der Per­spek­tive. Denn wenn man mal über­legt, dass ich diese Dis­tanz noch vor einem Jahr in nur vier Wochen zurück­gelegt habe, erscheinen 733 km ziem­lich unbedeutend.

Auf mein­er Liste ste­hen defin­i­tiv die Tour du Mont Blanc und die Beendi­gung des PCT. Und was Thru-Hikes ange­ht? Ich habe ein Auge auf den Con­ti­nen­tal Divide Trail (CDT) gewor­fen. Mein inof­fizielles Leben­sziel sind 100.000 km, bish­er habe ich knapp 10.000 km beisam­men. Dream Big. Wir wer­den sehen was das Leben als näch­stes für mich bere­it hält.

 

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